Stadtratssitzung zu TOP 9: „Teilnahme an der Fairtrade town Kampagne“ — Hans-Georg Hansen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
meine Damen und Herren,
ich habe eine Befürchtung! Die nämlich, dass mit dem von uns gestellten Antrag zur Teilnahme an der Fairtrade-town-Kampagne, zunächst einmal allzuviele unserer Mitbürger nichts anfangen können.
„Fairtrade-Stadt“, was soll dann denn sein?, wird vielleicht der ein oder andere fragen. „Haben die in der Stadt nicht andere Sorgen?“
Kann schon sein, dass es auch andere Sorgen gibt. Aber worum geht es denn, was wollen wir erreichen, wenn wir uns darum bemühen, eine Fairtrade-Stadt zu werden?
Wir sehen nicht erst seit Fukushima und dem Atomausstieg, dass wir in einer Welt leben. Diese unsere eine Welt hat nur eine Zukunft, wenn wir dem Leben auf der Überholspur entgegentreten.
Das betrifft jeden einzelnen in seinem persönlichen Umfeld, das betrifft auch die Städte und Gemeinden, die m i t ihren Bürgern und f ü r ihre Bürger Position beziehen müssen, wofür wir stehen.
Unsere Stadt Andernach steht für ein offenes Miteinander und für Transparenz, für Grund- und Menschenrechte, für Arbeits- und Produktionsbedingungen, die die Würde des Menschen, aber auch den Erhalt der Natur ernst nehmen.
Das sind Grundsätze, die nicht an den Zufahrtsstraßen der Stadt beginnen oder enden dürfen. Das sind Grundsätze, für die w i r a l l e uns weltweit einsetzen müssen. Wohlklingende Absichtserklärungen bringen da nichts; gefragt sind konkrete Taten, mögen sie auf den ersten Blick noch so klein erscheinen. Wir waren da nicht untätig: ich erinnere nur an Holzhackschnitzelwerke, Fernwärme, Blockheizkraftwerke und große Investitionen zB in Wärmedämmung, aber auch an unser Engagement für regionale Produkte. Das ist weiter wichtig, und wir werden ja später noch sprechen, wie wir uns für die Energiewende auch in Andernach stark machen können.
Meine Damen und Herren,
weltweit werden nach den Zahlen der ILO 215 Millionen Kinder zur Arbeit gezwungen, ca. 115 Millionen von ihnen unter unmenschlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Sie müssen täglich viele Stunden lang schuften, statt zur Schule zu gehen. Kinder, die ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft Steine auch für deutsche Kunden spalten, unter sengender Sonne Baumwolle pflücken, Kleidungsstücke nähen, sich als Leibeigene in fremden Haushalten abmühen und so weiter.
Aber auch erwachsene Näherinnen müssen sich mit Klammern die Augen offen halten, um ihr Pensum für einen Hungerlohn überhaupt zu schaffen. Blumenarbeiterinnen sind schutzlos Pestiziden und manchmal auch den Übergriffen von Aufsehern ausgeliefert. Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben keinerlei Rechte. Laut Schätzungen leben 27 Millionen Menschen weltweit in Sklaverei. Armut ist die Ursache für diese Missstände, Armut ist aber auch die Folge.
Es war gut und richtig, wenn der Rat sich im Jahr 2007 auf unseren Antrag dafür ausgesprochen hat, keine Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit bei der Stadtverwaltung zuzulassen.
Nun geht es aber um einen weiteren Schritt nach vorne.
Denn Boykott allein gegen all die Produkte, die unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden, ist nicht die Lösung. Wir müssen Alternativen schaffen. Wir müssen die Armut bekämpfen, Zugang zu Ausbildung und Bildung sicherstellen.
Der Faire Handel ist eine solche Alternative. Er bietet jedem in Andernach und sonstwo die Möglichkeit, Produkte zu kaufen, die unter fairen Bedingungen hergestellt wurden. Er ist die dadurch die Chance, Projekte zu fördern, die an den Ursachen von Not und Armut ansetzen. Solche Projekte geben Hoffnung. Der Faire Handel ist darum eine der wichtigsten Säulen einer glaubwürdigen Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe.
Nicht Almosen, sondern faire Chancen – das ist es, was die Menschen in den Erzeugerländern wollen und was sie verdienen.
Deshalb, und weil wir in einer Welt leben, ist der faire Handel, ist die Teilnahme an der fairtrade-town-Bewegung auch unsere Chance und unsere Aufgabe, wenn wir unsere eigenen Grundsätze ernst nehmen.
Dann ist es auch nicht damit getan, im Büro der Oberbürgermeisters fair gehandelten Kaffee auszuschenken. Zu Recht wird gefordert, dass in einer „Fairtrade-Town“ schon mehr passieren muss:
Die Teilnahme einer Steuerungsgruppe, die sich im Kern ja schon gefunden hat. Ihnen danken wir für die bisherige Arbeit. Ich fürchte, die wirkliche Arbeit wird jetzt erst so richtig losgehen. Wir sind gerne bereit, daran mitzuhelfen, uns einzubringen.
Erforderlich sind neben der Beichterstattung in der Presse natürlich die Bereitschaft des Einzelhandels, fair gehandelte Produkte anzubieten. Da bin ich guter Dinge. In diesem Zusammenhang möchte ich auch ganz herzlich unseren Dank und unsere Anerkennung den ehrenamtlich Tätigen in unserer Stadt zum Ausdruck bringen. Sie engagieren sich zum Teil seit vielen Jahren für den fairen Handel in unserer Stadt, allen voran Frau Doris Jonas und ihrer Aktion „eine Welt“.
Ganz wichtig ist aus unserer Sicht, dass mit attraktiven Aktionen in Vereinen, Schulen und Kirchen für den fairen Handel geworben wird.
In diesem Sinne ist der heutige Beschluss zugleich eine Einladung an die gesamte Bevölkerung, aber auch an die Wirtschaft, an die Gastronomie, an Vereine, Verbände und Behörden, sich noch intensiver mit dem Thema „Fairer Handel“ auseinanderzusetzen und mit einem persönlichen Beitrag, mag er auch noch so klein scheinen, einzutreten für nachhaltigere, gerechtere Wirtschaftsbeziehungen zu Produzenten in Lateinamerika, Afrika und Asien.
Dann habe ich keine Befürchtung, dann habe ich die Erwartung, dass unsere Mitbürger auch „mitmachen“, dass sie den heutigen Beschluss in ihren Vereinen, Schulen, der Gastronomie und Zuhause unterstützen werden.
„Fairtrade-Stadt Andernach“ ist kein Titel, mit dem wir uns dann irgendwann einmal schmücken wollen.
Es soll ein A u f t r a g sein, jeden Tag auf unsere Weise daran hinzuwirken, dass diese unsere eine Welt ein kleines bisschen gerechter wird.
Gehen wir es also an, und setzen heute den ersten Schritt.